Unter der Rubrik “Handel und Gewerbe im Lützow-Viertel” stellt Prof. Dr. Paul Enck heute die Firma Otto Ring & Co. vor. Die Langversion der Geschichte können Sie im Kiez-Blog mittendran – Nachrichten für Tiergarten-Süd lesen.
Schneller geht sozialer Aufstieg kaum: Der Großvater noch ein „Arbeitsmann“, d.h. ein Hilfsarbeiter ohne Berufsausbildung in Stettin, dessen Sohn erst Kanzleidiener, dann Kanzlei-Sekretär bei der Staatsregierung in Potsdam, und dessen Sohn wiederum Unternehmer mit einem Produkt, das er genial vermarktete und das ihn bis zum zweiten Weltkrieg zum Weltmarktführer machte. Und das Ganze passierte am Rande des Lützow-Viertel, in der Blumenthalstraße.
Otto, der Kaufmann und Unternehmer
Otto Julius Hermann Ring wurde am 14. Juli 1853 geboren und am 14. Juli in der Garnisonsgemeine Potsdam notgetauft. Er hatte zwei Brüder, Adolf und Wilhelm, und eine Schwester, Alma, die ebenfalls in Potsdam zur Welt kam. Wir wissen nicht, wo Otto Ring zum Kaufmann ausgebildet wurde – er taucht erstmals im Adressbuch von Berlin im Jahr 1879 auf: als Inhaber einer „Fabrik für chemisch-technische Spezialitäten“, Adresse: Firma Otto Ring & Co, Bülowstraße 71. Ein Jahr zuvor war die Firma in das Handelsregister eingetragen worden (Nr. 15642) (1), ab dem Jahr 1880 war die Firmenadresse Blumenthalstraße 17.
Seine erste „Spezialität“ war offenbar ein Fleckenwasser (Immaculus) (Bild 1), das nicht besonders erfolgreich war (2), aber der Durchbruch kam bald mit der Erfindung eines Fischleims, der, wenngleich nicht gut riechend, offenbar sehr effizient war und alles klebte, was des Klebens bedurfte (Bild 2): Er nannte ihn Syndetikon, ein Kunstwort, gebildet aus dem Griechischen syndein, zusammenbinden, verknüpfen.
Das genaue Rezept des Fischleims ist nicht überliefert, es war vermutlich ein Firmengeheimnis, und wurde wohl patentiert, aber der Name Syndetikon wurde nicht geschützt (siehe unten). Dennoch machte er innerhalb kürzester Zeit Weltkarriere, und aus einem ebenso einfachen wie genialen, weil seiner Zeit vorauseilendem Grund:
Werbung, Werbung, Werbung!
Waren die ersten Plakatentwürfe für Syndetikon noch konventionell (s. Bild 2), so entstand nach kurzer Zeit bereits das dann durchweg verwendete Motto „Syndetikon klebt, leimt, kittet alles“, die Vermarktung erfolgte im In- und Ausland mittel künstlerisch gestalteten Plakaten noch unbekannter Berliner Kunststuden-ten, die sich in den folgenden Jahren einen Namen machen sollten, und mit witzigem, oft ironischem Inhalt: Syndetikon kittet alles, auch gebrochene Herzen!
Die Firma Otto Ring & Co. stellte 1896 auf der großen Berliner Gewerbeausstellung im Saal der Chemischen Industrie aus. Im gleichen Jahr (am 4. April 1896) registrierte das Königliche Amtsgericht Berlin II unter der Nr. 2926 im Firmenregister den Umzug der Firma nach Steglitz/Friedenau (3) (Bild 3), während der Wohnsitz von Otto Ring die Blumenthalstraße blieb.
Otto Ring engagierte dort etwa ab dem Jahr 1900 eine Firma (heute würde man Start-up sagen), die sich auf moderne Druck-Reklame (Plakate u.a.m.) spezialisiert hatte. Eine Gruppe von gerade von der „Unterrichtsanstalt am Königlichen Kunstgewerbe-Museum zu Berlin“ examinierten Studenten gründete im Oktober 1900 in einer Steglitzer Dachkammer und mit einer gebrauchten Steindruckpresse die „Steglitzer Werkstatt“. Einer der Gründer, Fritz Helmuth Ehmcke, erinnerte sich 1920 (4), dass Otto Ring, den sie „den guten Onkel Ring“ nannten, ihr regelmäßiger Auftraggeber „von epochemachender Bedeutung“ wurde. Dem ersten Auftrag (Bild 4) folgten viele andere, an denen auch heute bekannte Künstler wie Hajduk und Kleukens beteiligt waren (Bild 5).
Der Patriarch Otto Ring
Innerhalb seiner Firma, und vermutlich auch in der Familie war Otto Ring ein Patriarch alten Stiles. Dies zeigt sich auch in der Arbeitsordnung, die in der Firma galt (Bild 6), und in den dokumentierten Festreden und Gratulationen zu Firmenjubiläen, die in Archiven zu finden sind (5). Nicht zuletzt ist dies auch belegbar durch die keineswegs übliche Gründung einer „Stiftung Syndetikon“ (6) im Jahre 1920, die erst 1958 aufgelöst wurde (7). Deren primärer Zweck war die Einrichtung und Unterhaltung eines Ferienheimes, das für bedürftige Firmenangehörige zur kostenlosen Nutzung für einen Erholungsurlaub zur Verfügung stehen sollte.
Otto Ring, der 1884 in der Blumenthalstraße 18 wohnte (Bild 7), heiratete am 21. Oktober 1884 in Berlin Marie Ida Adele Paesler, geboren am 30. März 1865. Sie war die 19-jährige Tochter des Zimmermanns Eduard Wilhelm Paesler und dessen Ehefrau erster Ehe Marie Therese Ida, geborene Graf, und wohnte mit Ihren Eltern nebenan, Blumenthalstraße 17; ihnen gehörte das Haus. Die Nr. 18 nebenan gehörte seinem Bruder Julius Paesler, seines Zeichens Bauunternehmer.
Zwischen 1889 und 1895 wurden drei Kinder geboren: Otto Eduard Heinrich, geboren am 13. November 1886, Elisabeth Johanna Maria, geboren am 8. Oktober 1889, und Werner Adolf Paul, geboren am 26. Dezember 1895. Über Otto Eduard und Werner Adolf lassen sich keine weiteren Informationen finden, so dass wir davon ausgehen müssen, dass sie möglicherweise im ersten Weltkrieg 1914-1918 verstorben ist: Sie waren bei Kriegsausbruch erst 28 bzw. 18 Jahre alt. Im Jahr 1920 jedenfalls wurde im Rahmen einer notariellen Beurkundung vermerkt, dass beide verstorben seien.
Die nächste Generation
Elisabeth verblieb der Firma ihres Vaters verbunden – sie erbte sie auch: Sie trat am 31. März 1922 als persönlich haftende Gesellschafterin in die seit dem 1. Januar 1922 als offene Handelsgesellschaft registrierte Firma Otto Ring & Co. ein, auch wenn Otto Ring allein zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt blieb (8). Sie hatte in erster Ehe am 5. April 1913 den Assistenzarzt Dr. Konrad Eugen Reinhard Hiltmann geheiratet, der am 11. Mai 1886 in Frankfurt/Oder geboren wurde und zum Zeitpunkt der Hochzeit in Hameln (bei Hannover) wohnte, während Elisabeth als Wohnsitz Friedenau, Fregestraße 51 angab, dem Standort der Firma. Aus dieser Ehe stammen zwei Kinder, geboren 1916 und 1918 – deren Daten unterliegen noch dem Datenschutz. Ihr Mann starb bereits im Alter von 36 Jahren am 28. September 1922. Danach heiratete Elisabeth Ring am 24. März 1926 den Kaufmann und Doktor der Philosophie Heinrich Paul Albert Ritzenfeld, geboren am 2. Oktober 1882 in Berlin und wohnhaft in Berlin-Schöneberg (Hauptstraße 83). Der Ehemann, 7 Jahre älter als seine Frau, trat als Prokurist in die Firma ein. Er starb am 5. Dezember 1945 in Auguste-Viktoria-Krankenhaus in Schöneberg, während seine Frau im Juli 1962 nach Müllheim im Markgräflerland (Breisgau) umzog. Dort verstarb sie am 17. August 1976 im Elisabethenheim (Hauptstraße 149) und hinterließ drei noch lebenden Kinder – ein Sohn, geboren 1926, aus der zweiten Ehe, dessen weitere Daten auch noch dem Datenschutz unterliegen.
Zum 25. Firmenjubiläum (1913) war der Patriarch schon aus der Firma ausgeschieden und lebte offenbar in Potsdam (Roonstrasse 3; 1920: Kurfürstenstraße 32). Seine Frau Ida geborene Paesler starb am 30. Juni 1930 in Berlin-Kladow im „Landhaus Ring“ im Alter von 65 Jahren. Als Otto Ring am 17. Dezember 1937 im Alter von 84 Jahren starb, wohnte er wieder in der Blumenthalstraße 17. Er hatte wenige Jahre zuvor ein zweites Mal geheiratet, sein Tod wird durch seine (zweite) Ehefrau Theodora geborene Schnack angezeigt.
Über Patentschutz und Namensrechte
Sucht man nach einer Rezeptur, muss man auch heute noch lange eruieren: Wir fanden eine von 1888 in der Süddeutschen Apotheker-Zeitung (9), aber das war ein österreichisches Nachahmer-Produkt (10), das auch gleich noch die Werbung kopierte (Bild 8). Otto Ring hatte einen Prozess in Österreich über zwei Instanzen geführt und verloren (11). Ein Namensschutzrecht gab es in Deutschland zum Zeitpunkt der Erfindung Syndetikon 1878 nämlich noch nicht. Zwar gab es ein Markenschutzgesetz seit dem 30. November 1874, aber das ließ nur gezeichnete (figürliche) Markenzeichen zu und keine Markennamen, die ausschließlich aus Buchstaben/Namen bestanden, wie z.B. Syndetikon. Erst das „Gesetz zum Schutz von Warenbezeichnungen“ vom 12. Mai 1894 erlaubte dies (12). In diesem Jahr registrierte Otto Ring Syndetikon als eine neue Marke unter diesem neuen Gesetz.
Von Syndetikon zu Uhu und darüber hinaus
Der Apotheker August Fischer in Bühl erfand 1932 UHU, einen synthetischen Kleber aus Kunstharzen (13), der deutlich besser roch und klebte und der die Weltmarktrolle von Syndetikon übernahm – aber selbst die erste Werbung wurde von Syndetikon inspiriert.
Den Krieg überstand das Firmengebäude der Otto Ring & Co. in Friedenau ebenso wie die Wohnhäuser in der Blumenthalstraße (s. oben, Bild 5). Die auch im Krieg fortgesetzte Produktion von Syndetikon (1944: 262.000 Mark Umsatz – zum Vergleich: der Umsatz von UHU betrug 1939 270.000 Mark (13)) zeigte Anfang der 60er-Jahre noch einen bescheidenen Umfang (1961: 34.000 DM; 1963: 33.800 DM; 1964: 29.000 DM; 1965: 142.000 DM) (14). Am 1. Januar 1965 übernahm der Kaufmann Hein Ruck aus Hamburg die Firma mit Einlagen von 20.000 DM von den Erben. Die Prokura für Ursula Hiltmann, vermutlich eine Tochter von Elisabeth Hiltmann geborene Ring, blieb jedoch noch bestehen, und der Sitz der Firma war in Steglitz, Stindestraße 35 in der Privatwohnung von Ursula Hiltmann. Am 6. August 1979 wurde der Sitz der Firma jedoch nach Hamburg verlegt (Handelsregister Hamburg Nr. 76518). Im Jahr 2000 nach dem Tod von Hein Ruck wurde die Firma Otto Ring & Co. Hamburg aufgelöst.
Aber Syndetikon gibt es noch heute: Es wird in der Diamantenindustrie verwendet zur Fixierung der Diamanten beim Laser-Schleifen (15), wo es offenbar auf seine inneren, technischen und nicht seine olfaktorischen Qualitäten ankommt.
Text: Prof. Dr. Paul Enck (www.paul-enck.com)
Literatur
- Berliner Börsen-Zeitung vom 2. März 1885, V. Beilage, Nr. 102, Seite 1.
- Klaus Popitz: Syndetikon. Eine kleine Firma macht große Reklame. Begleittext zur Ausstellung. Veröffentlichungen der Kunstbibliothek Berlin 1878.
- Berliner Börsenzeitung Nr. 166 vom 9. April 1896, Seite 10.
- Fritz Helmuth Ehmcke: Bahnbrecher der deutschen Plakatkunst. 8. Die Steglitzer Werkstatt. Das Plakat, April 1920, Seite 179-183.
- Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin Inventar-Nr. 1977,50.
- Landesarchiv Berlin (LAB), Akte A Pr. Br. Rep. 030 Nr. 17651.
- Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA), Akte 203 AVE 254.
- Berliner Börsen-Zeitung Nr. 166 vom 7. April 1933, Seite 3.
- Süddeutsche Apotheker-Zeitung, Jahrgang 29, 1888, Nr. 38, Seite 2.
- Adolf Vomacka: Haus-Spezialitäten. A.Bartleben´s Verlag, Wien/Leipzig 1904, S. 191-194.
- Österreichisches Patent-Blatt, 5. Jahrgang 1903, Nr. 23, Seite 911-919.
- Karolina M. Pekala: Zur Entwicklung des Markenrechts. In: Markenpiraterie. Reihe Rechtswissenschaft, Vol. 220. Centaurus Verlag & Media, Herbolzheim2013, S. 47-58
- Karl-Heinz Zenz: UHU Story. Heimatbuch 1982 des Landkreises Rastatt. Greisler-Druck, Rastatt 1982, S. 147-163.
- Berlin-Brandenburgisches Wirtschaftsarchiv, Akte K 1/1 7078.
- Krystyna Jedraszak: Spezialkleber von Bettonville für die Diamantbearbeitung. dihw Magazin 2, 2010, S. 10-11.
Bilder:
- Reklamemarke für das Fleckenmittel Immaculus (eigenes Foto).
- Anzeige der Firma Otto Ring für Syndetikon (aus: 2)
- Foto der Firma Otto Ring & Co. in Friedenau um 1900 (aus: 5)
- Erste Werbeanzeige der Steglitzer Werkstatt für Otto Ring (aus: 4)
- Drei Plakate mit Syndetikon-Werbung (aus: 5, online).
- Arbeitsordnung der Firma (aus: 4)
- Haus Blumenthalstraße 18 (eigenes Foto, aufgenommen am 21.1.2023)
- Plagiat-Werbung für Snydetikon in Österreich (aus: 10).