Aktivitäten, Aktuell
Schreibe einen Kommentar

Artisten, Tiere, Sensationen – oder was findet sich im Circus-Busch-Archiv?

Als Bearbeiterin des Circus-Busch-Archivs habe ich sofort „ja“ gesagt, als Stefan Dörschel (Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Theatergeschichte e. V.) mich im Juli 2024 gefragt hatte, ob ich nicht einen Vortrag über das Circus-Busch-Archiv halten möchte.

Am 22. November 2024 war es dann soweit und ich habe mich mit klopfenden Herzen zur Freien Volksbühne aufgemacht, wo ich im Rahmen des 52. Gesellschaftsabend der Gesellschaft für Theatergeschichte meinen Vortrag „Artisten, Tiere, Sensationen – oder was findet sich im Circus-Busch-Archiv?“ halten sollte.

Siegfried-Nestriepe-Haus (Foto: Tania Estler-Ziegler)

Zunächst einmal war ich sehr beeindruckt von dem Ambiente des Siegfried-Nestriepe-Hauses, das dem Kulturvolk Freie Volksbühne e. V. als Geschäftsstelle und als Veran-staltungsraum dient. Das 1954 erbaute Haus, das durch seine riesigen Glasflächen sehr offen wirkt, beinhalten neben den Geschäftsräumen des Verbandes, eine Bibliothek und den Piscator-Saal für Veranstaltungen.

Piscator Lounge & Café (Foto: Tania Estler-Ziegler)

Nachdem wir die Technik gecheckt hatten, war noch genug Zeit, um etwas über die Geschichte des Vereins zu erfahren. Am 29. Juli 1890 wurde die Freie Volksbühne Berlin e. V. als erste kultur-politische Massenorganisation der deutschen Arbeiterbewegung mit dem Ziel gegründet, gesellschaftlich und sozial schwächer gestellten Bevölkerungs-gruppen einen Zugang zu Bildung und zum kulturellen Leben zu ermöglichen. Der Verein wuchs schnell und konnte schon 1913/1914 ein eigenes Theater bauen lassen und zwar die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. 1924-1926 verzeichnete der Verein einen Höchststand von 160.000 Mitgliedern. Die weitere Geschichte können Sie auf deren Webseite nachlesen.

Piscator-Saal (Foto: Frank-Rüdiger Berger)

Um 19:00 Uhr ging es dann los. Rund dreißig inte-ressierte Zuhörer hatten sich eingefunden, darunter viele mir bekannte Sammler und Zirkusfreunde. Sogar Paul Busch, der Urenkel des Zirkusgründers, kam mit seiner Frau, was mich sehr gefreut hat. Es waren aber auch genauso viele Theaterhistoriker und –wissen-schaftler anwesend.

Warum kommt ein Zirkusarchiv in ein Wirtschaftsarchiv?
Was findet sich alles in diesem Zirkusarchiv?
Wer interessiert sich überhaupt für ein solches Archiv?
Und wie viel Zirkusgeschichte kann hier nachgelesen werden?
Das waren die Fragen, die mir zuvor von den Veranstaltern gestellt wurden.

Micaela Busch, Paul Busch und Paula Busch (N7/13/440/13A)

Eine Überraschung für viele Zuhörerinnen und Zuhörer war, dass Berlin Anfang des 20. Jahrhunderts die Zirkusmetropole Europas war und die Zirkusdirektorin Paula Busch deren Grande Dame. Der Circus Busch war zu dieser Zeit ein erfolgreiches Unternehmen mit festen Spielstätten in vier Metropolen.

Am 24. Oktober 1895 wurde von Paul Busch das Stammhaus in Berlin an der Spree eröffnet. Das Gebäude befand sich direkt am Bahnhof Börse (heute: Hackescher Markt), begrenzt von der Burgstraße, den S-Bahnbögen und der Spree. Der Zuschauerraum fasste 4330 Personen. Es gab eine Kantine und einen Stall für 123 Pferde.

„Festes Haus“ des Circus Busch (oben links), Postkarte von ca. 1930 (BBWA N7/13/15/46A)

Im Jahre 1904 verfügte der Circus Busch über 120 Pferde, 8 Elefanten, 50 Mann Stallpersonal, eine Kapelle mit 36 Musikern, 120 Ballettmädchen, 24 Mimiker und 12 festangestellte Artisten. Für die Pantomimen, die auch Ausstattungsstücke genannt wurden, waren häufig bis zu 300 Statisten beschäftigt.

Zu dem Circus als Wirtschaftsunternehmen gehörten verschiedene Abteilungen. Es gab u. a. ein Kostümatelier, eine eigene Sattlerei, eine Schusterei, Perückenmacher, Tischlerwerkstätte und vieles mehr.

Die Abbildung zeigt die „Schneiderei“ Ende des 19. Jahrhunderts (BBWA N7/13/324/113A)

Wenn wir das auf die heutige Zeit übertragen, muss es so etwas wie eine Personalabteilung gegeben haben. Hier wurden die Verträge und die Korrespondenz mit den Festangestellten aufbewahrt, aber auch mit den Artisten aus aller Welt, die nur für eine Saison engagiert wurden.

Es musste jemanden geben, der die Öffentlichkeitsarbeit koordinierte. Circus-Zeitungen und -Programme, aber auch Plakate, Eintrittskarten, Pressemappen und Wurfsendungen mussten hergestellt werden. Und sicherlich gab es auch so etwas wie eine Buchhaltung.

Womit sich die Frage, warum ein Zirkusarchiv in ein Wirtschaftsarchiv gehört, beantwortet hat.

Martin Schaaff, Doris Schaaff und Paula Busch, ohne Datum (N7/13/368/00008A)

Das Circus-Busch-Archiv wurde uns von Rosedore Schmidt, der Tochter des Sammlers Martin Schaaff 2019 übergeben. Martin Schaaff (1910- 2015) war Pfarrer sowie Circus- und Schau-stellerseelsorger und sein ganzes Leben stark mit der Zirkuswelt verbunden. Er hat nicht nur Dokumente zum Circus Busch gesammelt, sondern alles, was er zum Zirkus und zu zirkusähnlichen Institutionen finden konnte. Das zeigt sich auch an der Gliederung des Bestandes.

N7/01 Circus Busch
N7/02 Nachlass Paula Busch
N7/03 Persönliche Unterlagen Martin Schaaff
N7/04 Dokumente von und zu anderen Sammlern
N7/05 Deutsche Zirkusse (inkl. DDR)
N7/06 Internationale Zirkusse
N7/07 Artisten
N7/08 Zirkusähnliche Institutionen
N7/09 Zirkusmuseen und Ausstellungen
N7/10 Zirkusverbände, -vereine und Freundeskreise
N7/11 Zirkusplakate
N7/12 Sammlung Kunst
N7/13 Fotosammlung
N7/14 Filme
N7/15 Zeitungs- und Zeitschriftenausschnittsammlung

Was Sie in dieser Gliederung nicht finden, sind die 56 Circus- und Pferdefachzeitschriften, die z. T. über mehrere Jahrgänge vorhanden sind. Sie machen rund 5 lfm in dieser Sammlung aus. Außerdem haben wir 1.125 Bände circensischer Literatur in unsere Bibliothek übernommen.

Geschwister Klein, Sensationshow „Menschen zwischen Himmel und Erde“ (1947), Sommergarten am Funkturm (N7/13/665/12A).

Die einzelnen Teilbestände und Sammlungen hier vorzustellen, würde den Rahmen dieses Blogbeitrages tatsächlich sprengen.

Und wie viel Zirkusgeschichte kann hier nachgelesen werden?

Wir haben eine Menge Dokumente über die schönen Zeiten des Zirkus, aber auch über den Niedergang des Zirkus ab der 30er Jahren.

Das, was wir als schöne, bunte, faszinierende Welt sehen, hat auch seine Schattenseiten:

 

 

  • Es finden hier sehr viele Dokumente zum Überlebenskampf von Zirkussen im Dritten Reich und auch danach
  • Erinnern Sie sich vielleicht noch an die Zirkusmitarbeiter, die in Fußgängerzonen mit den Tieren betteln gegangen sind?
  • Eine große Zeitungsausschnittsammlung erzählt von Unfällen und Todesfällen von Artistinnen und Artisten,
  • Die großen Probleme durch den Tierschutz ab den 70er Jahren kann hier nachvollzogen werden.
  • Aber auch die Schulbildung der Artistenkinder und auch ihre Ausbildung für den Zirkusberuf ist ein Thema.

Und trotzdem gibt es den Zirkus weiterhin:

Der Bestand erzählt auch über die reinen Artisten-Zirkusse oder Entertainment-Unternehmen wie Cirque Soleil, der uns heute sehr begeistert.

Oder Bernard Pauls Circus Roncalli, der erst 1975 gegründet ist auch keine Tiere mehr zeigt, aber dessen Weihnachtszirkus in Berlin mich letztes Jahr verzaubert hat.

Darum ist mein Fazit: Es gibt noch unglaublich viele Geschichten aus diesem Bestand heraus zu erzählen und ich lade Sie ein – genauso wie meine Gäste beim Vortrag –  bei uns zu forschen und die Geschichten an die Öffentlichkeit zu bringen.

Gerne halte ich den Vortrag bei Interesse auch nochmal in einem anderen Rahmen.

Plakat zum Manege-Schaustück „Die Schlange der Durga“, 1921 (BBWA N7/11/121)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert