Seit Hernán Cortés 1528 die Kakaobohne aus Mittelamerika nach Spanien gebracht hatte, blieb sie bis ins 19. Jahrhundert hinein ein Luxusgut für den Adel und für wohlhabende Bürger. Erst der Einsatz von modernen Maschinen, neuen Verarbeitungsmethoden und höhere Erträge im Kakaoanbau trugen dazu bei, dass auch für andere Bevölkerungsschichten Schokoladenprodukte erschwinglich wurden. Theodor Hildebrand war nicht der einzige, der das Potenzial der Kakao- und Schokoladenproduktion erkannte. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts wurden zahlreiche Schokoladenfabriken gegründet. Als die erste in Deutschland gilt die 1804 gegründete Halloren Schokoladenfabrik in Halle. Auch Sie entstand aus einer Konditorei. Besonders viele Neugründungen fanden nach dem ersten Weltkrieg statt. 1914 gab es in Deutschland rund 180 Schokoladenfabrikanten, 1925 waren es bereits um die 350.
Die Geschichte einer der ersten preußischen Schokoladenfabriken begann in Berlin in der Heilige-Geist-Straße 20, als dort der 16jährige Theodor Hildebrand 1807 bei seinem Onkel, dem Pfefferküchlermeister Philipp Franz Hildebrandt, in die Lehre ging und fünf Jahre später sein erstes kleines Unternehmen gründete, eine Pfefferküchelei. Das Geschäft lief sehr gut. Bald wurden die im Keller befindlichen Arbeitsräume zu klein und so investierte er 1817 in ein Grundstück in der Spandauer Straße 47 nahe am Berliner Rathaus. Unter dem Namen Theodor Hildebrand eröffnete er dort ein neues Ladengeschäft und eine Produktionsstätte. Auch die Produktpalette wurde erweitert. Hinzu kamen Konditoreiwaren, süße Spezialitäten und schließlich Kakao- und Schokoladenprodukte. So wurde aus der Pfefferküchelei eine Conditorei.
Die gute Qualität seiner Produkte sollte sich auszahlen. Theodor Hildebrand bekam den Titel “Hoflieferant Seiner Majestät des Königs”. Diese Ehrung verlieh oder genehmigte der preußische Monarch für verdienstvolle Lieferanten mit hoher Produktqualität. Sie galt jedoch nicht einem Unternehmen, sondern dessen Inhaber. Überhaupt spielten Titel in der Firmenpolitik der Hildebrands eine wichtige Rolle. Seine Enkel Theodor und Richard trugen den Ehrentitel Kommerzienrat. Dieser Titel wurde im Deutschen Reich an wichtige Persönlichkeiten der Wirtschaft nach erheblichen “Stiftungen für das Gemeinwohl” verliehen.
Der erste Eintrag in den Berliner Adressbüchern stammt von 1836.
1830 erhielt Berlin eine neue Sehenswürdigkeit, eine 4-PS-Dampfmaschine für den Betrieb einer Schokoladenwalze. Es war die erste Dampfmaschine in Preußen, die zur Herstellung von Schokolade eingesetzt wurde. Theodor Hildebrand präsentierte sie in seinem Schaufenster. 1847 reichten die Kapazitäten der Dampfmaschine schon nicht mehr aus und so wurde sie durch eine 12-PS-Dampfmaschine ersetzt.
Als seine Söhne Julius und Richard 1844 und 1854 in die Firma eintraten, zog sich Theodor Hildebrand nach und nach aus dem Geschäft zurück. Aus “Theodor Hildebrand” wurde “Theodor Hildebrand & Sohn”. Das Unternehmen wuchs unter der Leitung der beiden Brüder weiter. Sie erweiterten das Absatzgebiet auf ganz Deutschland und die Schokoladenfabrikation gewann immer mehr an Bedeutung.
Mit dem Eintritt von Julius Hildebrands Söhnen in die Firma, dem Kaufmann Theodor und dem Conditor Paul 1878 sowie seinem Neffen Richard 1985, übernahm die dritte Generation die Leitung des Familienunternehmens. Wegen des gestiegenen Absatzes und der zunehmenden Industrialisierung der Produktion verlegten sie 1888 den Betrieb in den Wedding in die Pankstraße 34-37, während das Ladengeschäft in der Spandauer Straße verblieb.
Um 1900 war die Zahl der Beschäftigten von ca. 400 im Jahr 1888 auf 1.500-2.000 während der Saison zu Weihnachten und Ostern angestiegen. Mittlerweile exportierte Hildebrand & Sohn nicht nur ins europäische Ausland, sondern auch nach Nord- und Südamerika, Südafrika und in die deutschen Kolonien. Hildebrand & Sohn unterhielt mehrere Ladengeschäfte in Berlin, Hamburg, Bremen, Stettin, München und Köln sowie Engroslager in New York, Kapstadt und Johannisburg. Nicht nur die Anzahl der Beschäftigten und der Handelspartner hatte sich vervielfacht, sondern auch das Sortiment der Produkte. In einer Preisliste von 1904 sind über 2.000 Artikel aufgeführt.
1934 stand die Theodor Hildebrand & Sohn Schokoladenfabrik fast vor dem Aus. Die mittlerweile zu einer GmbH umgewandelte Firma verbuchte jährlich einen Verlust von über 1.000.000 Reichsmark, geriet in Zahlungsschwierigkeiten und musste mit ihren Gläubigern einen gerichtlichen Vergleich schließen. Zur Rettung des Unternehmens wurde eine Auffanggesellschaft gegründet, die Hildebrand Kakao- und Schokoladenfabrik. Die Geschäftsleitung übernahm Albert Rinne.
Die Rettung gelang, und anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin brachte das Unternehmen ein neues Produkt auf den Markt, die Scho-Ka-Kola, eine koffeinhaltige Schokolade. Sie bestand aus 58 % Kakao, 2,6 % geröstetem Kaffee und 1,6 % Kolanusspulver. Daraus ergab sich ein Coffeingehalt von etwa 0,2 %.
Als 1933 die NSDAP die Macht übernahm, wurde der “Verband der Schokoladenfabrikanten” durch die “Wirtschaftliche Vereinigung der Deutschen Süßwarenindustrie” ersetzt. Diese kontrollierte ab 1935 die gesamte Schokoladenproduktion und den Handel. Der Verkauf von Schokolade an die Zivilbevölkerung wurde 1939 verboten, mit Ausnahme von kakaohaltigen Getränken. Die gesamte Produktion war für das Militär bestimmt. Die Produktion der coffeinhaltigen Scho-Ka-Kola erreichte 1941 ihren Höchststand. Gegen Ende des Krieges musste die Produktion jedoch vollständig eingestellt werden. Das Fabrikgebäude in der Pankstraße wurde bei einem Bombenangriff zu 80% zerstört, das Stammhaus in der Spandauer Straße vollständig.
Nach Ende des Krieges begannen Albert Rinne und Theodor Hildebrand, der Enkel, mit dem Wiederaufbau. Schokolade wurde vorerst nicht produziert, sondern Brot, Nudeln und Gebäck. Nach dem Tod von Albert Rinne 1949 übernahm sein Sohn Hans Rinne die Geschäftsleitung. Nach der Berlin-Blockade am 12. Mai, konnte die Kakaopulverproduktion und die Herstellung von Schokoladenerzeugnissen wiederaufgenommen werden. Neue Maschinen zur Produktion von Tafelschokolade und Pralinen wurden 1950/51 angeschafft. Auch der Export der Produkte lief wieder an, vorwiegend in die USA, nach Kanada, England, Australien und Japan.
Am 1. September 1967 feierte die Hildebrand Kakao- und Schokoladenfabrik ihr 150jähriges Jubiläum. Doch schon 1968 kam das Ende für das traditionsreiche Unternehmen, die Hildebrand Kakao- und Schokoladenfabrik ging in Insolvenz. Seit der Gründung des Unternehmens hatte sich die Zahl der Schokoladenhersteller vervielfacht und die Produktivität stetig gesteigert. 1966 gab es ca. 80 Firmen. Gleichzeitig stagnierte die Nachfrage und war zum Teil sogar rückläufig. Steigende Rohkakaopreise und die Abschaffung der Preisbindung für Tafelschokolade 1964 konnte das Unternehmen nicht mehr kompensieren. Auch Personalabbau und Kurzarbeit halfen nicht.
Der Kölner Unternehmer Hans Imhoff übernahm 1969 die Hildebrand Kakao- und Schokoladenfabrik. Der Name blieb vorerst erhalten. Später ging das Unternehmen in die ebenfalls von Hans Imhoff erworbene Stollwerck AG auf.
Text: Birgit Reinhart
[…] Ester-Ziegler, Tania. «Unter der Lupe – Schokolade mit Tradition – Die Hildebrand Kakao- und Schokoladenfabrik». Archivspiegel, 28.05.2018. En ligne ici. […]